Bildname


subtil / subtitled

untertitel im Film bleiben normalerweise 4 bis 6 Sekunden im laufenden Bild
stehen, oder innerhalb einer raschen Bildfolge, als knappst bemessene Zeit
für die verkürzte Lektüre, nichts für Stadschauer, oder aber der kurze Satz bleibt
zu lange im Bild sichtbar, so daß der Zuschauer unruhig wird, weil der Lese
Text nicht weitergeht, während die Stimmen der DarstellerInnen bereits voraus-
geeilt sind und die Protagonisten vielleicht zu einem ausführlichen Diskurs
angesetzt haben, den man aber bei dem Hin und Her zwischen Bild und Text
und infolge mangelnder Sprachkenntnis nicht mitbekommen hat, im Wesent-
lichen so gut wie versäumt, und so heißt es also aus dem Zusammenhang
interpolieren und ergänzen, sich selbst die RedeBedeutungen und Handlungs
Stränge zusammenreimen, vor- und zurückdenken, nach den jeweiligen Gesten
und Physiognomien darauf schließen, was gemeint sein könnte, in möglicher-
weise wachsender Irritation, da die eigene Perzeptions Arbeit alles überwuchert,
man also bereits in Kürze den Ereignissen unaufholbar hinterherhinkt, ganz
wie im realen Leben.

EMIL SUSANNE JOSEF steht als Prägeschrift gleichfarbig an der Tür eines
Domizils in Wien Favoriten, in der wenig bekannten Senefelderstraße, die man
eher nach Berlin (Ost) verlegt hätte, als Fortsetzung der Kollwitz- am Prenzlauer
Berg, aber dann lesen wir vielleicht nach: Alois Senefelder (1771-1834), Erfinder
der Lithographie (des Steindrucks), und schon läuft die BezugsMaschine weiter,
zu den vielfältigsten Reproduktionstechniken, und sei es als ComputerAusdruck
im verschlierenden und grobrasternden Faxmodus, und sofort beginnen sich
weitere Unklarkeiten und Fehler einzuschleichen: man bekommt ein Bild vorge-
setzt, das einen Raum in der RaiffeisenZentrale am Wiener Donaukanal zeigt,
vielleicht das Generalsekretärbüro, und hört die Wörter BULGARO ROSSO und
JUCHTENLUDER, mißversteht also das Juchtenleder, und dann schaut man
eine irritierende PolaroidSerie unter dem Titel TANGO SCHLAF an und meint
sich hier jetzt nicht ver-lesen, sondern ver-schaut zu haben, zumindest in der
vordergründigen Definition des dargestellten oder zu erahnenden Geschlechts:
männlich oder weiblich oder gar ein drittes, ach es zerfasert ja immer alles und
wer weiß da schon genau, wie die Mutter von TELEKABEL heißt und ob die
jüngere Tochter wirklich UPC genannt wird, DAVID BARBARA BADEWANNE,
könnte an einer anderen Zimmertür in einer anderen Zeit in einer anderen Stadt
oder zumindest einem anderen Stadtteil stehen, aber da hören wir dem freudig
mitteilsamen realen Kind bereits zu, wie es seine rudimentären Untertitel in die
Erwachsenenwelt hineinsetzt, nämlich EMIL ABEITE, EMIL GATEN, EMIL LEGO,
EMIL LAUSER, aber wie könnte diese LIEGE FÜR EINE DAME UND IHRE
2 LIEBHABER heißen, nämlich genauso oder kürzer, und eine CAUSEUSE für
einen Causeur aus der historischen Section N wäre wohl auch dabei, wobei
sich gleich die Frage aufwirft: welche CAUSA CELEBRIS darin abgehandelt
werden würde, gewiß jene des Originals und des Plagiats, wenn nicht gar jene
der Creation und ihrer stillschweigenden Entwendung, während ein TISCH MIT
ZAPFENFÜSSEN ganz real im Konferenzraum des ›Instituts für die Wissen-
schaften vom Menschen‹ steht und seine pentagonale Form in einer Lichtab-
hängung an der Decke stabförmig wiederholt sieht, naja: von dem MAX-
STIRNER-GarderobeKasten aus der Anarchisten-Serie IKONEN mit Köcher,
Bogen und Standarte sind infolge des exzessiven Gebrauchs nur mehr
Rudimente vorhanden, wobei sich eine Anarcho Restauration wohl schon vom
Wortsinn her verbietet.

leichter haben wir es da schon mit einer KopfSerie unter dem Titel KRÖNUNGEN,
und dabei könnten auch die Kinder ohne weiteres wieder mit, auch wenn alle
Kopfstücke aus dem gleichgrauen Material hergestellt sind, nämlich die
schüttere Federkrone des Häuptlings, die Haube des Bergmanns oder Hirten,
das zweiflügelige Quastenkopfstück des Hofnarren oder der hochragende Kegel
des tanzenden Derwischs, der ja oben auch stumpf sein kann, und daß der
Delinquent mit Augenbinde den Serienabschluß bildet, das könnte fürs erste
irritieren, wenn da nicht das unverdächtige Blinde-Kuh-Spiel als harmlose
VerständnisVariante einspringen würde, bei dem Titel FILM NOIR denken wir
vielleicht zuerst an das spezielle Krimi-Genre und sehen dann so und so viele
eingeschweißte 26x26 Polaroid-Vergrößerungen unterschiedlichsten Bildinhalts,
wie viele müssen das und wie wenig an undeutlichen Fotos dürfen es sein, daß
wir das unterschwellige Thema erkennen, wobei sich aber gleich wieder bestim-
mte einzelne AUFNAHMEN (im eigentlichen Wortsinn) in unser Bildgedächtnis
einbrennen, das erkennen wir ab heute sofort wieder, oder deutet so eine enigma-
tische Szene vielleicht darauf hin, daß uns öfters als wir meinen das Wiederer-
kennen pränataler oder wiedergeburtlicher Wahrnehmungen beschäftigt, FLUG-
SAND könnte man eine Rekonstruktion der städtischen Kinder- und Jugendli-
chenwelt von anno dazumal nennen, die ja jeder/jede in seiner/ihrer Art aufzu-
weisen hat, mit sich trägt, damals als die Meidling-Wilhelmsdorfer Straßen noch
nicht vielbefahren und autoverstellt waren, vom Nest aus, vom Schatzhaus aus,
von der diesfalls katholischen Kindheit aus, von den heute vermißten oder ver-
miesten baulich-architektonischen Elementen des innersten Kindheitsbezirks
aus, denn wie es scheint, haben wir nur diese eine eigene Biographie und sind
unmerklich das ganze weitere Leben mit der Wiederhereinholung einer bestim-
mten prägenden, im Rückblick sogar glücklichen Kindheitsphase befaßt, diese
unscheinbaren Orte, diese buchecken-bestreuten und haarmützenmoos-
bestandenen Waldwege von damals würden wir gern wiederbesuchen, wieder-
herstellen, wiedererreichen/wiederriechen.

auch wenn jemand alle Formen von anonymisiertem Aufnehmen eines Lebens
Augenblicks forciert, also z.B. froh darüber ist, daß das Scharfstellen des
Objektivs vergessen wurde oder die in die Luft geworfene Kamera vorm Wieder-
auffangen ausgelöst hat, auch wenn sich jemand über jede Spiegelung im
Abteilfenster, hineinkatapultiert in die mehr oder weniger gepflegte Bahnland-
schaft, freuen kann, etwa auf einer Reise durchs Weinviertel oder durchs
herbstliche Italien, so kommt er doch nicht umhin, irgendetwas zu dem zufällig
Abgebildeten zu sagen, und da hat sich für kurze Zeit sogar die Möglichkeit
ergeben, das Gesagte auf einen Magnetstreifen an der Rückseite des Fotos
aufzusprechen, so daß es jemand anderer in der Nähe oder Ferne im dazupas-
senden Gerät abspielen und hören konnte, die gesprochene Mini-Legende
selbstverständlich auf die Dauer dieses Streifens beschränkt: Klaus möchte
das schon, Susanne möchte das nicht, könnte man bei mancher dieser Aufn-
ahmen heute hören, falls die Notwendigkeit einer Auswahl bestünde, das
Besprechungs- und Abhörgerät hat sich nicht durchgesetzt, der Magnetstreifen
allerdings schon: er ist, wenn auch jetzt stumm, auf die Telefon- und Kreditkarten
weitergewandert.

auf der einen Seite der Schaukel sitzt also die quasi anonyme, auf der gegen-
überliegenden die inszenierte Fotografie: und da können schon mal zwei nackte
jugendliche Ringer, beides stämmige Burschen und noch dazu Cousins (die
Personen und deren Namen sind bekannt), auf einen gewürfelten Fliesenboden
gestellt werden und anfänglich wie zum Spaß, später nicht mehr ganz so unge-
fährlich miteinander kämpfen, während der Inszenator auf einem Tisch über den
beiden Körpern steht und scheinbar unbeteiligt seine schwarz-weiß-Aufnahmen
macht, als ginge es ihm ausschließlich um das faszinierende Formenspiel von
Armen, Beinen und Leibern in einem schweißtreibenden Freundschaftsspiel.

es gibt mannigfache und mannigfaltige Anlässe für unsere Erinnerungskunst,
die immer auch zu einer Formulierkunst hin strebt: so wie der Amateurfotograf
ferner Zeiten in einer ruhigen Stunde seine Urlaubs- und Familienalben be-
schriftet hat, in unverhüllter Onomastik und Toponomastik, nach dem Standard-
satz: der und die waren dort und dort, das sind die Zwillinge bei der Erstkom-
munion, das ist Friederike in Malmö, das bin ich am Vesuv, so sucht auch der
Künstler, insofern er sich fotografisch seiner selbst und seiner Umgebung
vergewissern möchte, und sei es mit den gefinkeltsten Strategien der Abweichung,
des Automatismus und der optischen Geisterbeschwörung, nach dem erlösen-
den Satz, der die vielen andere Sätze hervorruft und zu einem Kaleidoskop der
Lebensgeschichte oder auch der deklarierten Biographielosigkeit versammelt,
ob diese erste Phrase vor dem Bild nun ausgesprochen und hingeschrieben
wird oder nicht.

Bodo Hell    2003  
(Text im Katalog Josef  Wais - Werkschau VIII)

Bodo Hell
1943 Salzburg, lebt in Wien und am Dachstein, Prosa, Radiophones,
Theater, Text im öffentlichen Raum, Foto, Film, Musik, Almwirtschaft,
Preis der Literaturhäuser 2003, zuletzt: Tracht: Pflicht, Lese- und
Sprechtexte, Verlag Droschl 2003, Darsteller im Film: Im Anfang war
das Wort von Bady Minck, amour fou 2003